Warum Homeschooling?
Eigentlich sind wir eine ganz „normale“ Familie… Naja, abgesehen davon, dass wir viele Jahre in Lateinamerika in einem Entwicklungsland gelebt haben und unsere Kinder dort ihre ersten Lebensjahre verbracht haben.
Papa ist aus Australien, Mama aus Österreich und so wachsen unsere Kinder, seit wir vor einigen Jahren nach Österreich gezogen sind, zweisprachig mit Englisch und Deutsch auf (vorher war noch die Landessprache Spanisch dabei.)
Ich habe damals in verschiedenen International Schools als Kindergartenpädagogin, später -Leiterin, high school Kunst- und Kunstgeschichte – Lehrerin gearbeitet. Außerdem war ich Englisch- und Deutsch-Coach und unterrichtete vor allem auch jene Kinder aller Altersstufen in den verschiedenen Fächern, die noch nicht genügend Englisch konnten, um den normalen Schulstunden ausreichend folgen zu können.
Zu Hause haben die Kinder mit mir meine Muttersprache Deutsch gesprochen und auch schreiben und lesen in Deutsch gelernt.
Unsere älteste Tochter, ich nenne sie hier Lola, wurde in Österrich nach einem kurzen Test in die nächste Schulstufe eingeschult, ohne ein Jahr wiederholen zu müssen. Der Umzug fiel ihr nicht leicht, der Kulturschock war enorm (für uns alle) und sie vermisst ihr Geburtsland immer noch heftig.
Die Volksschule schloss Lola gut ab, das letzte Jahr verbrachte sie in einer internationalen Klasse mit (theoretisch) Englisch als Unterrichtssprache. Daher freuten wir uns, als sie in ein Gymnasium mit einem internationalen Schulversuch (die Klasse wurde in manchen Fächern getrennt und Englisch auf höherem Level unterrichtet) aufgenommen wurde.
Nach 2 Schuljahren im österreichischen Schulsystem der Mittelschule hatte Lola sich verändert. Sie war ständig abgeschlagen und müde, sehr oft und lange krank, unglücklich und blass. Sie litt unter Kopfschmerzen und oft auch Bauchschmerzen. In der Klasse fühlte sie sich nicht sehr wohl, obwohl sie ein paar Freundinnen hatte, von denen sie sich vor allem mit einer sehr gut verstand, mit der sie auch nach wie vor befreundet ist. Sie war im Dauerstress. Mit 4 bis 6 Tests und Prüfungen in der Woche verbrachten wir viele Abende damit, so viel Lernstoff in ihr Gehirn zu stopfen wie möglich, der am nächsten Tag gleich wieder vergessen wurde, um Platz für neuen Stoff zu machen. Die Nachmittage verbrachte Lola großteils mit Hausübungen. Sie entschied sich, bis auf Ihr geliebtes Tanzen keine Freizeitaktivitäten zu planen oder Freifächer zu belegen, da sie meinte, sie habe dafür sowieso keine Zeit. Wir als Eltern sahen besorgt zu und halfen, wo wir konnten. Sinnvoll erschien uns das alles aber nicht. Und gerade die sozialen Fähigkeiten, die in den Schulen, in denen ich unterrichtet hatte, so groß geschrieben worden waren, wurden hier nur auf dem Papier gepflegt.
Dazu kamen noch einige Lehrer, die unserer Meinung nach einfach keine sehr guten Pädagogen waren.
Wir sahen ein, dass all dies extrem demotivierend sein musste.
Außerdem sammelte Lola einen Wust von Detailwissen an, wenn man sie um die großen Zusammenhänge oder nach den Grundlagen fragte, kam sehr wenig.
Wir fingen also an, uns nach Alternativen umzusehen. Wir sahen uns Neue Mittelschulen an, aber es passte für Lola dort einfach überhaupt nicht. Auch eine Montessorischule (in der kein Platz frei war) und eine Waldorfschule (die unerschwinglich war) sahen wir uns an.
Nachdem wir schon einige Zeit mit dem Gedanken gespielt hatten, Lola ganz aus der Schule zu nehmen, schlugen wir es ihr also als Alternative vor. Die Erleichterung war ihr ins Gesicht geschrieben. „Ja, versuchen wir das!“ war ihre Antwort.
Wir hatten noch ein sehr gutes Gespräch mit dem Direktor ihrer Schule, der sagte, er verstehe unsere Beweggründe und Lola könnte auch – wenn die Noten passten – gerne wieder zurückkommen.
Also begannen die bürokratischen Mühlen zu mahlen und sieheda, nach gut 6 Wochen hatten wir den Bescheid des Landesschulrats über Lolas ‚häuslichen Unterricht‘ in Händen.
Nach dem ersten Schuljahr konnten wir sagen: Es war die richtige Entscheidung.
Lola blühte auf, auch die Menschen in ihrem Umfeld waren oft ganz überrascht, wie sehr wieder sie selbst geworden war. Natürlich ist es auch viel Arbeit, Lola musste auch erst lernen, wie man richtig lernt (relativ selbständig war sie glücklicherweise vorher schon.) Die Arbeiten müssen korrigiert werden (was wohl den größten Aufwand darstellt) und es muss darauf geschaut werden, dass nichts untergeht. Trotzdem kann ich als Mutter sagen, dass auch mir es seit dem Beginn des Homeschoolings besser geht. Wie viele Male habe ich bis spät in die Nacht mit meiner verzweifelten Tochter gelernt, wie oft dann überlegt, wie ich reagieren soll, wenn sie am nächsten Tag solche Kopfschmerzen hatte, dass Test-Schreiben nicht drin war. Da setze ich mich lieber gemütlich am Abend hin und verbessere die Übungen. Es ist auch für mich stressfreier geworden.
Erfreulicher Nebeneffekt: Auch wenn wir uns natürlich manchmal in die Haare bekommen, sind Lola und ich uns durch das Homeschooling noch näher gekommen, wir haben oft viel Spaß dabei – und so lernt es sich dann auch leichter.
Einige Jahre später entschieden wir uns, auch unsere zweite Tochter zu Hause lernen zu lassen. So ging diese wunderbare Reise von Neuem los. Leider machte uns so wie allen anderen Corona einen Strich durch die Rechnung. Natürlich war unsere Tochter nicht von den Schulschließungen betroffen, aber als die Regelungen betreffend häuslichem Unterricht drastisch verschärft wurden (und es war schon davor kein Honiglecken) und ein Austausch mit Freunden und Familie so schwer wurde, war das auch für uns Homeschooler eine sehr schwierige Zeit. Trotzdem war es auch für sie eine gute Entscheidung und wir sind froh, diesen Weg gegangen zu sein.
Zuletzt möchte ich noch etwas erwähnen, was mir am Herzen liegt. Es ist wohl weithin bekannt, dass unser Schulsystem mehr als verbesserungswürdig ist. Trotzdem kommen damit manche Kinder bestimmt besser zurecht als andere. Ich möchte hier auch nicht gegen alle Lehrer wettern, es gibt bessere und schlechtere, und auch die Lehrer sind in diesem System einem gewaltigen Druck ausgesetzt.
Dazu kommt sicher auch die Persönlichkeit des Kindes. Lola war vor allem damals eher zurückhaltend und etwas schüchtern. Auch tat sie sich sprachlich nicht ganz leicht, gerade in Deutsch (die Hauptsprache zu Hause war ja doch lange Englisch). Wir haben die Erfahrung gemacht, dass das soziale Gefüge hier verglichen mit dem in Lateinamerika und in den internationalen Schulen, die wir erlebt haben, sehr viel erfolgs- und wettbewerbsorientierter sind. Die Prioritäten, denen wir hier – gerade auch unter den Kindern und Jugendlichen – begegnen, weichen oft sehr stark von dem ab, was wir als wichtig empfinden. Das Motto scheint oft eher „schneller – höher – besser – (erfolg-)reicher“ als „gemeinsam schaffen wir das“ oder „ich nehme dich so an, wie du bist“ zu sein. Für unsere Tochter wollen wir so ein Umfeld nicht forcieren. Natürlich gilt das nicht für die gesamte Gesellschaft hier in Österreich oder Europa, und wir treffen auch immer wieder auf Menschen, die auf unserer Wellenlänge sind.
Alles in allem muss im Endeffekt jeder entscheiden, wie er oder sie seine Kinder aufwachsen lässt, welche Prioritäten wir unseren Kindern vermitteln und was für den Einzelnen überhaupt möglich ist.
Für uns ist die Möglichkeit des häuslichen Unterrichts in Österreich eine befreiende und sinnvolle Alternative geworden.