Wieder einmal fand ich beim Frühstückskaffee einen Artikel in den Salzburg Nachrichten über die „armen Kinder“, die im häuslichen Unterricht darben müssen. Das konnte ich einfach nicht unkommentiert lassen. Hier der Artikel:
Im Folgenden der Leserbief, so, wie ich ihn an die Redaktion geschickt habe:
Sehr geehrte Redaktion der SN,
In Bezug auf Ihren Artikel „Österreichs vergessene Schüler“ vom 30. 1. 2019 möchte ich Folgendes kommentieren:
Wir haben unsere Tochter nach der 2. Klasse Gymnasium aus der Schule genommen und sie hat die Zeit bis zum Ende der 4. Klasse im häuslichen Unterricht verbracht. Unsere Gründe dafür waren sehr vielschichtig. Keiner davon hatte etwas mit religiösen Weltanschauungen, politischem Extremismus oder Reinheitsfanatismus zu tun. Es war für sie zu der Zeit einfach nicht zielführend – bildungsmäßig sowie persönlich – die Regelschule zu besuchen.
Leider geistert die Idee nach wie vor herum, dass Kinder im häuslichen Unterricht von der Außenwelt abgeschnitten sind, keinen sozialen Kontakt haben und keine anderen Sichtweisen kennenlernen. Mit ein bisschen Recherche wird schnell klar, dass den meisten Eltern von Homeschoolern gerade der Sozialkontakt extrem wichtig ist – wie es auch bei uns der Fall war – und hier alles unternommen wird, um diesen den Kindern zu ermöglichen. Nicht erzwungenermaßen jeden Tag mit den gleichen Mitschülern, sondern auf vielfältige Weise.
Ich verstehe die Besorgnis, dass Sekten oder demokratiefeindliche Gruppierungen den Hausunterricht missbrauchen könnten. Ich glaube aber nicht, dass das Problem daran der häusliche Unterricht selber ist. Solche Gruppierungen tendieren dazu, ihre eigenen Lerngruppen oder Schulen zu bilden. Eltern, die Ihre Kinder ganz oder für einige Jahre zu Hause lernen lassen, fallen meine ich nicht in diese Gruppe.
Zu den Freilernern möchte ich anmerken, dass hier natürlich eine Überprüfung schwer möglich ist. Wenn Sie aber schreiben, dass bei Besuchen durch das Jugendamt meist ein total engagiertes Elternhaus vorgefunden wird, das die Kinder unterstützt, sagt Ihnen das dann nichts? Vielleicht sind auch diese Eltern nicht allesamt Esoteriker oder religiöse Fanatiker.
Auch kann ich mit der Verallgemeinerung „es handelt sich um Eltern, die selbst schlechte Erfahrungen gemacht haben und die Illusion aufrechterhalten, es gibt eine böse, kalte, technokratische Welt da draußen“ nicht viel anfangen. Wenn ich auf meine eigene Schullaufbahn zurückblicke, bin im Großen und Ganzen gut durch die Schule gekommen, habe erfolgreich maturiert und mein Leben lang immer gerne gelernt. Auch war unser Hintergedanke nicht, unsere Tochter vor der „bösen kalten Welt da draußen“ zu schützen. In die Schachtel „Links, Rechts, Esoteriker oder Reinheitsfanatiker“ lasse ich mich schon gar nicht gerne bugsieren.
Ich gebe Frau S., Volksschuldirektorin im Ruhestand, recht, dass die Externistenprüfungen, wenn sie gesetzeskonform durchgeführt werden (und das wurden sie offensichtlich in unserem Fall, inklusive genauer Protokolle) eine Zumutung für das Kind sind. Es wundert mich nicht, zu hören, dass Eltern ihren Kindern diese Prüfungen erleichtern möchten („Prüfungstourismus“). Es wäre dringend nötig, dieses Prüfungssystem für Externisten zu überholen. Ein Vorschlag wäre zum Beispiel, dass die Kinder in jedem Fach ein Portfolio anlegen, das sie dann in einem Prüfungsgespräch erläutern, und dazu vielleicht noch ein paar Fragen gestellt werden, um zu sehen, ob sie den Stoff verstanden haben. So könnte die Prüfungsperson einen guten Einblick bekommen, was das Kind das Jahr über gemacht hat und nicht nur einen Wissenseindruck von einem Tag bekommen, an dem viele Schüler auch noch mit horrender Aufgeregtheit kämpfen müssen. Wenn die Art, wie geprüft wird, dem heutigen Standard angepasst wird, erübrigt es sich auch, dass, wie im Artikel erwähnt, Kinder durch die Prüfungen geschleust werden, ohne den Stoff wirklich zu beherrschen.
Im Artikel wird auch angeführt, dass die Tendenz zum häuslichen Unterricht steigend ist. Meiner Meinung nach ist der Hauptgrund dafür nicht in einer Radikalisierung der Eltern zu suchen, sondern einfach nur darin, dass mehr und mehr Eltern die Situation unseres Bildungssystems, das leider an allen Ecken und Enden hinkt, nicht mehr hinnehmen wollen und sich nach Alternativen für ihre Kinder umsehen. Die allermeisten Lehrer sind kompetent und engagiert, das System Schule passt aber einfach nicht zu jeder Zeit auf jedes Kind.Für uns hat der Ausflug in den häuslichen Unterricht einen positiven Eindruck hinterlassen, sie sollte den Eltern weiterhin als Alternative möglich sein. Unsere Tochter besucht mittlerweile die Oberstufe in einer guten Schule, in der ihre Interessen optimal gefördert werden können, hat einen großen, vielfältigen Freundeskreis, gute Noten und ist eine interessierte und bestens sozialisierte Schülerin.
Der Text war offensichtlich zu lang für einen Leserbrief (meine Texte werden immer etwas lang…), er wurde verkürzt abgedruckt:
Interessant ist, dass gerade meine Gedanken zum Thema Externistenprüfungen und Prüfungstourismus herausgenommen wurden, wo das ja die Headline war. Trotzdem fand ich es positiv, dass er gleich ein paar Tage darauf gedruckt wurde!