Ist das Schulsystem an allem schuld?

Seit wir vor sechs Jahren mit unseren Kindern wieder in die „erste Welt“ übersiedelt sind, sehen wir uns oft mit Erwartungen und Einstellungen konfrontiert, die wir in unserem Alltag nur am Rande erlebt haben, die in unserem Umfeld in Zentralamerika einen sehr viel geringeren Stellenwert hatten.

Was mir zum Beispiel immer wieder auffällt, ist, dass Kinder hier sich sehr oft an anderen messen, dass es extrem wichtig ist, besser zu sein, als die anderen. Es wird erwartet, dass Leistungen, Verhaltensweisen und Besitztümer vergleichbar sind und es wird ununterbrochen verglichen.

Natürlich spielt hier unser Schulsystem mit hinein, es behandelt alle Schüler gleich, möchte das zumindest. Es setzt Normen und „Standards“. Es gibt „Kompetenzen“ vor. Anhand eines Punktesystems ist sehr leicht erkennbar, wer mit diesem System besser zurechtkommt, wer „besser ist“.

Aber ich bin trotzdem nicht der Meinung, dass es in der Wurzel nur unser Schulsystem ist, an dem es so hakt. Ich glaube, dass wir uns noch so bemühen können, ein geeigneteres System zu finden und doch keinen Erfolg haben werden, wenn sich an dieser Grundeinstellung des „Immer-Besser-Sein-Müssens“ nicht etwas ändert.

Mittlerweile glaube ich, dahintergekommen zu sein, dass diese Einstellung nicht in der Klassengemeinschaft, in der Schule entsteht, obwohl das von vielen Eltern, die ich kenne, so gesehen und lamentiert wird. Ich habe gemerkt, dass diese Einstellung sehr oft aus dem Familienverband kommt. Ich konnte beobachten, wie Kinder von einer Gruppe, die sich in der Klasse gebildet hat, mal ausgeschlossen werden und dann wieder dabei sein dürfen. Je nachdem, ob sie gerade dabei sind oder nicht, sind sie entweder todtraurig, oder sie machen fleißig dabei mit, andere auszuschließen.
Interessanterweise verhalten sich oft genau die Eltern, die diese Entwicklungen bedauern, unter ähnlichen Umständen genauso.

Ich möchte dazu kurz ein Erlebnis schildern, dass mir dahingehend die Augen geöffnet hat:
Bei einem Elternabend in der Schule wurde darum gebeten, dass sich Mütter oder Väter melden, die mit einer Gruppe von ca. 10 Schülern einen Nachmittag verbringen und Aktivitäten mit ihnen bearbeiten. Es handelte sich um das Fach Religion. Die erste Idee war, die 10 Kinder auf zwei Gruppen aufzuteilen. Nun gibt es in der Klasse eine solche eingefahrene Gruppe von Kindern. Siehe da, genau deren Eltern wollten ihre Kinder in einer Gruppe haben. Als noch eine weitere Mutter bat, ihr Kind dazuzugeben,  hörte ich allen Ernstes eine Mutter sagen: „Ja aber passt sie dann schon dazu in unserer Gruppe?“ Bevor das Ganze in einen Machtkampf ausartete, schritt Gottseidank die Lehrerin ein und schlug vor, alle Kinder gemeinsam zu nehmen und den Nachmittag mit ein paar Eltern in einer Wohnung zu organisieren, die groß genug war.

Ich glaube, dass die Kinder auch deshalb einem so großen Druck ausgesetzt sind, weil sie ihn von zu Hause so mitbekommen. Im Endeffekt vergleichen sie sich dann nicht nur mit den anderen, sondern stellen so hohe Ansprüche an sich selbst, dass sie gefährdet sind, daran zerbrechen. Sie sind weder für die anderen noch für sich selbst gut genug.

Auch hier ein Beispiel dazu: Die Tochter einer Freundin hatte sich zum Eignungstest an einem Sportgymnasium angemeldet. Ein paar andere Kinder aus der gleichen Klasse waren beim gleichen Test dabei. Das Kind der besagte Freundin brach nach einigen Etappen den Test ab und sagte, sie wolle den Test nicht zu Ende führen, weil sie meinte, eine Schulkollegin würde sie auslachen, wenn sie etwas falsch machen würde oder den Test nicht bestünde. Ob die Schulkollegin das wirklich gemacht hätte, sei dahingestellt. Traurig ist diese Angst der Schülerin in jedem Fall. Der Mutter wurde später bestätigt, dass ihr Kind „gut unterwegs“ war und den Eignungstest wahrscheinlich bestanden hätte.

In die gleiche Kategorie fällt auch, dass die Kinder in Lolas Klasse einen riesen Stress hatten, dass ihre Klassenkameraden herausfinden könnten, wenn sie eine schlechte Note auf einen Test oder eine Schularbeit bekommen hatten. Die Noten wurden so gut wie möglich verheimlicht und ich durfte auch nicht mit anderen Eltern über die Noten ihrer Kinder sprechen, weil es dann sein hätte können, dass herauskommt, dass meine Tochter mir diese Noten gesagt hat. Anstatt sich gegenseitig zu trösten und zu unterstützen, wurden Kinder mit schlechten Noten oft ausgelacht.

Um zum Schulsystem und meinem letzten Beitrag zurückzukommen: Als ich die Abschaffung der Direkten Leistungsvorlage mit Bekannten besprach, wurde mir erzählt, dass es bei der Einschulung ihrer Tochter nur eine Klasse gegeben hatte, die mithilfe der direkten Leistungsvorlage beurteilt. Die Lehrerin ist als „alternativ“ bekannt und Eltern, die sich so jemanden wünschen, sollten ihre Kinder für diese Klasse anmelden. Meine Bekannten hatten es sich überlegt, aber abgesehen davon, dass die beste Freundin ihrer Tochter nicht in diese Klasse gehen würde, meinten sie auch, ihre Tochter wolle auch Noten bekommen, damit sie sich mit ihrer großen Schwester vergleichen könne und auch ihre Einser herzeigen könne. Meine Frage: Was, wenn sie nun mit ihren sechs oder sieben Jahren keine Einser vorzeigen kann? Oder wenn die ältere Schwester mal den Kampf verliert und nicht mehr nur Einser nach Hause bringt?

Zu dem zunehmenden Leistungsdruck habe ich einen interessanten Artikel gefunden, hier der Link dazu.

Ein amüsantes Detail am Rande: Der Markenwahn, der sogar schon in der Volksschule ausgebrochen ist (iphone vs. Samsung, Markenkleidung wird dann auch in Lolas Alter extrem wichtig), ging mir einmal schon so auf die Nerven, dass ich Lola gesagt habe, ich würde mir in dem Billigladen um die Ecke eine Stofftasche kaufen, das Label ausschneiden und auf ein T-Shirt applizieren, mit dem ich dann den Levis, Nike und wer weiß, wie sie noch alle heißen – Trägern etwas entgegenhalten könnte.  Lola wäre allein bei der Vorstellung am liebsten vor Scham im Boden versunken, aber wir haben trotzdem darüber gelacht. Ich überlege es immer noch… 🙂

Ganz im Ernst: Was hier dann leider auf der Strecke bleibt, ist, dass wir unseren Kindern beibringen, dass sie nicht immer die Besten, die Tollsten, die Reichsten sind und auch gar nicht sein müssen. Dass wir Ihnen zeigen und vorleben, was wirklich wichtig ist im (Zusammen-)Leben. Jahrzehntelang wurde Individualität gepredigt, das wichtigste ist, dass du anders bist als die anderen. Dass du deinen eigenen Weg verfolgst, koste es, was es wolle. Dass man dann auch die anderen so annehmen muss, wie sie sind, kommt leider oft zu kurz. Die so gezüchteten mini-Individualisten gehen dann auch „über Leichen“ um ihr Ziel zu erreichen. Es kommt zu einer Verschiebung der Prioritäten, Zusammenarbeit und Mitgefühl treten in den Hintergrund, jeder einzelne muss für sich der Erfolgreichste sein. Auch der Umgang miteinander leidet natürlich, wenn ich immer mich selbst voranstelle.
Wenn ich sehe, wie sehr sich Teenager in anderen Ländern für gemeinschaftliche Ziele einsetzen, bin ich darüber enttäuscht, welche Prioritäten die Kinder in unserem Land und der 1. Welt überhaupt entwickeln. Das ist nicht nur eine traurige, sondern meiner Meinung nach auch eine gefährliche Entwicklung. Wenn wir uns die Welt ansehen, die wir unseren Kindern hinterlassen, sollte unsere oberste Priorität sein, sie mit den Werkzeugen auszustatten, in dieser Welt gemeinsam nach Lösungen suchen zu können und diese mit vereinten Kräften umzusetzen.

Wie denkt ihr über diese Entwicklung unserer Gesellschaft? Ich freue mich über jeden (ernst gemeinten) Kommentar!

2 Antworten auf „Ist das Schulsystem an allem schuld?“

  1. Hey
    ich hab mit Interesse deinen Beitrag gelesen. Ich finde diese Entwicklung auch gefährlich.
    Ich hab nur ein kleines Beispiel, da wir unsere Kinder zu Hause unterrichten und nur unser Älterster 6 Monate im Schulsystem war. Doch als er anfing, waren seine Lieblingsfarben rosa und violett. Nach zwei Wochen, war es vorbei. Das seien Mädchenfarben. Er wolle diese nicht mehr.
    Es war aber nicht so, dass seine Kleidung nur diese Farben hatten, sondern, dass er bei Bastelarbeiten etc. zu Hause gerne rosa und violett wählte. Dies war dann vorbei.
    Nun, zwei Jahre später sagt er selbst, er habe viele Lieblingsfarben rot, orange, grün und rosa und violett. Das freut mich sehr, da es mir zeigt, dass er über das Urteil von Aussen hinweg ist.
    Zuhause ist mir sehr wichtig, dass die Kinder gemeinsam spielen können. Konflikte lösen, selbst oder mit Hilfe. Gemeinsam neue Ideen entwickeln. Dies wäre in der Schule auch nötig.
    Gemeinschaft zu fördern, anstatt Vergleiche die trennen.

    Liebe Grüsse Eva

    1. Liebe Eva,
      vielen Dank für deinen interessanten Kommentar! Ich finde es gut, dass ihr es trotzdem mit der Schule probiert habt. Diese Erfahrung hat dich wohl darin bestätigt, dass das Homeschooling für euch wirklich die beste Lösung darstellt.
      Liebe Grüße, Su

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